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6 Kritische Betrachtung

 
  Die theoretischen Überlegungen von Muckenfuß zum 'Lernen im sinnstiftenden Kontext' wirken konsistent und überzeugend, und zwar sowohl der empirische Ansatz als auch die Folgerungen daraus, seine Trennung von Verfügungs- und Orientierungswissen, der Orientierungsrahmen, die Rahmenkontexte und insbesondere seine Anmerkungen zu den physikalischen Experimenten.

Durch die Idee der sinnstiftenden Kontexte kann der Schüler die Physik mit seiner Alltagswirklichkeit besser verknüpfen als beim herkömmlichen Unterricht, bei dem die abstrakte Physik für sich isoliert im Mittelpunkt steht.

Die Beschäftigung mit einem über einen längeren Zeitraum gleichbleibenden Grundthema führt zu einer besseren Verankerung der physikalischen Inhalte mit der Lebenswirklichkeit der Schüler.

Die Betonung des Orientierungswissens ist ein Ansatz, der dem Unterricht von vielen erfolgreichen Lehrern eine theoretische Grundlage gibt.

Es ist jedoch kritisch, ob das 'Lernen im sinnstiftenden Kontext' eine flächendeckende Veränderung des Physikunterrichts erwirken wird.

Schwierigkeiten bereitet das Lernen in Kontexten durch die fehlende Erfahrung der Lehrenden selbst. Die Lehrer werden allein gelassen:

  • An den Universitäten wird ausschließlich fachsystematisch gelehrt, Kontexte gibt es dort nicht im Lehrstoff. Daher fördert die Ausbildung bis zum ersten Staatsexamen die Kontextorientierung nicht.
  • Die Analyse von historischen und philosophischen Texten (z.B. für den Kontext 'Erkenntnistheorie') wird in der Ausbildung zum Physiklehrer genausowenig behandelt wie Sportphysiologie oder andere Wissensgrundlagen für die verschiedenen Kontexte.
  • Es fehlen kontextorientierte Lehrbücher. In den gängigen Schulbüchern wird der Kontext bestenfalls sporadisch angesprochen (z.B. Infoboxen). Entsprechende Schulbücher sind jedoch eine notwendige Voraussetzung für eine erfolgreiche Umsetzung des Lernens im sinnstiftenden Kontext.
  • Es werden zwar Leitlinien und Rahmenkontexte definiert. Aber es fehlen präzise Beschreibungen der Durchführung, der Einstiege, der Impulsfragen,..., ebenso wie Hinweise, wie elementare Ergebnisse aus den komplexen Problemen aus der Alltagserfahrung herausgearbeitet werden sollen.
  • Die Experimentiergeräte in den Sammlungen der Schulen sind nach wie vor idealisiert und mit nur geringem Bezug zur Alltagserfahrung der Schüler.

Weitere Schwierigkeiten sehe ich in der Auswahl der Themen:

  • Bei der Auswahl der Themen innerhalb eines Kontextes kann es zu einem Widerspruch kommen zwischen den Inhalten, die die Schüler interessieren, und der von der Fachsystematik motivierten Auswahl durch den Lehrer.
  • Es fehlen Untersuchungen und Erfahrungen zu vielen Kontexten in der Sekundarstufe II, insbesondere im Hinblick auf das Erreichen der Leitlinien (vgl. Kap.3). Muckenfuß beschäftigt sich im Buch L.i.s.K. ausschließlich mit Unterricht in der Sekundarstufe I. Somit sind die zum Beispiel in den Richtlinien vorgeschlagenen Kontexte noch nicht ausgereift und auf ihre Verwendbarkeit geprüft. Der Sport ist zum Beispiel ein Kontext, der zwar den schiefen Wurf als Behandlung nahelegt, aber die mit ihm verbundenen mathematischen Schwierigkeiten für die Schüler, die auftreten, wenn für die Realität relevante Konsequenzen für den Sport gezogen werden sollen, sind recht groß.

Es gibt Unterschiede zwischen den Kontexten von Muckenfuß und den Kontexten der Richtlinien:

  • Im Gegensatz zu Muckenfuß ist im Lehrplan die Reihenfolge der Rahmenkontexte offen. Durch eine unreflekierte Aneinanderreihung der Kontexte kann die Wissenschaftsverständigkeit gefährdet werden. So könnten die Kontexte zu 'trojanischen Pferden' entarten. Die variable Verteilung der Kontexte auf die Jahrgangsstufen macht außerdem einen Schulwechsel oder die Wiederholung einer Klasse schwieriger.
  • Statt "Lernen im sinnstiftenden Kontext" wie bei Muckenfuß geht es im Lehrplan um "Lernen im Kontext". Bei Muckenfuß ist die "Sinnstiftung" jedoch zentrales Anliegen, da gerade die Sinnentleerung verringert werden soll.

Um dem Orientierungswissen mehr Gewicht zu geben, ist ein Umdenken in der Leistungsbewertung nötig, da diese bisher auf Verfügungswissen ausgerichtet ist. Sonst wird das Orientierungswissen aus Zeitmangel in den Hintergrund gedrängt und es tritt keine Veränderung ein.

Fazit

  • Das Unterrichten in sinnstiftenden Kontexten ist nicht wahllos möglich, es ist vielmehr eine genaue Zuordnung von Inhalten, Alltagsproblemen und Kontexten erforderlich. Die Rahmenkontexte in den Richtlinien sind dafür ein erster Anhaltspunkt, sie genügen jedoch nicht. Es bleiben die Fragen: Wie macht man es und wie lehrt man es?
  • Bei der Übertragung der Kontextorientierung von Muckenfuß auf den Lehrplan 'Physik' wurden einige wesentliche Aspekte nicht berücksichtigt.
  • Es ist noch viel Arbeit erforderlich, um einer sinnstiftenden Kontextorientierung des Physikunterrichts einen fruchtbaren Boden zu bereiten.
  • Nach einigen Jahren Kontextorientierung im Physikunterricht wird interessant sein, ob sich bei neuen statistischen Erhebungen eine Verbesserung zeigen wird.
 
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